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»eine idee davon, was oper in unserer gegenwart kann«

In Judith Weirs Oper achterbahn (miss fortune) geht die Hauptfigur Tina auf die Reise, sich nicht nur dem echten Leben, sondern auch ihrem Schicksal zu stellen, das in der Figur Fate auch auftritt. Während der Proben hat der Dramaturg Philipp Wegerer mit der Regisseurin Clara Kalus und dem musikalischen Leiter Achim Falkenhausen über die Musik und ihre Besonderheiten gesprochen.

 

↗ Die Oper achterbahn (miss fortune) hatte ihre Uraufführung 2011, was ist das Spannende an einem so zeitgenössischen Werk?

Clara Kalus Für mich ist das Spannende, dass die Komposition ästhetisch aus dem Geist unserer Zeit, unserer Geschichte und Gesellschaft gedacht ist. Jede Uraufführung ist immer Momentaufnahme einer Verbindung zwischen dem, was musikgeschichtlich war, und dem was sein wird – eben gegenwärtig. Sie entspringt aus dem, was die Komponistin umgibt und was sie beschäftigt. Es ist ihre Idee davon, was Oper in unserer Gegenwart kann, im Wissen, wie Menschen heute Musik hören, welche Klänge uns gegenwärtig umgeben und in welchen zeitlichen Strukturen, Rhythmen und Taktungen unser heutiger Alltag sich vollzieht. Wobei wir heute in der Beschleunigung sicher schon wieder ein paar Drehzahlen höher liegen als noch vor 14 Jahren.

Achim Falkenhausen Das Spannende an achterbahn ist klar, dass es eben aktuell, dass es zeitgenössisch ist. Es ist unsere Musik – wenn man in die Musikgeschichte blickt, war es immer so, dass zeitgenössische Musik die Spielpläne beherrscht hat. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich das geändert, sodass man heute eher Musik findet, die im Schnitt meist ca. 150 Jahre alt ist. Deswegen haben wir in achterbahn jetzt das Gefühl, dass es Musik aus unserer Zeit ist. Es ist unsere Tonsprache: so leben wir, so hören wir, so musizieren wir eigentlich. Das ist das Interessante, das Spannende und auch das Wohltuende, etwas Aktuelles zu machen.

 

↗ Im Gegensatz zu vielen anderen Opern spielt der Chor eine tragende Rolle in achterbahn, er ist fast schon eine eigenständige Figur. Wie kann man den Chor denn hier beschreiben?

C. K. Die Funktion des Chores changiert zwischen der Verkörperung bestimmter gesellschaftlicher Kollektive einerseits, der kommentierenden, warnenden und vermittelnden Instanz andererseits und zusätzlich der sich blitzlichtartig ergänzenden Introspektiven solistischer Rollen. Die Komposition schafft hier fließende Übergänge zwischen individueller Sehnsucht oder Wut und der Meinung und Forderung einer Gruppe Vertreter_innen gesellschaftlicher Communities.

A. F. Es gibt einige Vorbilder, die in die Chorstellen in achterbahn hineingeflossen sind. Einerseits der griechische Tragödienchor, der die Handlung kommentiert, aber manchmal erinnern mich die Chorstellen auch an Turba-Chöre aus barocken Passionen, die konkrete Rollen einnehmen. Das ist dann schon eher die klassische Aufgabe eines Chors. Überwiegend ist der Chor in achterbahn aber eher handlungstragend und erzählend.

 

↗ Die prominenteste Figur neben Tina ist Fate, eine Verkörperung des Schicksals. Kann man »das Schicksal« in achterbahn musikalisch greifen, kann man es inszenatorisch?

C. K. Das Schicksal umweht Tina in der musikalischen Anlage. Mal erscheint es als Echo, mal singt es voraus und flüstert ein. Häufig umschlingen sich die beiden Stimmen zu kleinen Duetten. Durch die kontrastierenden Zeitstrukturen in diesen Passagen, wo Tina und Fate oft zeitgleich den gleichen Text singen, wird es zur märchenhaften Personifikation ihres Weges. Fate ist eine allgegenwärtige Kraft, zugleich außerhalb der Handlung und doch beeinflussend, wie eine innere Stimme, die Tina stützt, lenkt, hinterfragt und verunsichert.

A. F. Ja, man kann »das Schicksal«, also die Figur Fate, ganz klar musikalisch greifen. Das Stimmfach Fates ist ein Counter-Tenor, Benjamin Britten hat das in seinen Kompositionen schon eingeführt, dass Figuren, die eine gewisse Transzendenz haben, die auch über den Geschlechtern selbst stehen, immer diese doch sehr feine, reine Stimme eines Counter-Tenors haben. Das Schicksal wird so als außerhalb der Geschlechter dargestellt – da das Schicksal auch immer im Wandel begriffen ist.

 

Fotos: Tim Müller