Anlasslich des 200. Geburtstags von Johann Strauss (Sohn) (1825-1899) bringt das tfn eine seiner lange vergessenen Operetten zuruck auf die Buhne. die göttin der vernunft, eine der letzten Operetten des Wiener ≫Walzerkonigs≪, wurde 1897 in Wien uraufgeführt. Bis heute hat die Operette nichts von ihrer Scharfe verloren, denn niemand wird hier von satirischer Kritik verschont.
Nachdem der Karikaturist und politische Dissident Jacquino, getarnt als Theaterdirektor, im französischen Chalons Unterschlupf vor der Geheimpolizei sucht, erwartet er die Ankunft seiner Truppe aus Paris – und insbesondere seiner Geliebten, der Sängerin Ernestine. Diese lässt jedoch auf sich warten, da sie in Paris eine wichtige Rolle übernommen hat, die der ≫Göttin der Vernunft≪. Statt Ernestine trifft jedoch zunächst die Comtesse Mathilde in Chalons ein und wird fälschlich für Ernestine gehalten. Wahrend sie sich in den Capitane Robert verliebt, erscheint plötzlich die echte Ernestine frisch aus Paris. Es kommt zum Streit der beiden Frauen, und die Lage eskaliert weiter, bis deutsche Truppen Chalons einnehmen und alle Verfolgten begnadigt werden und zueinander finden.
Nach wenn ich könig wär’ und die zauberflöte mit einer Hildesheimer Fassung inszeniert Christian von Götz nun diese lange übersehene Operetten-Rarität wieder am tfn. Es sprachen die betreuenden Dramaturgen Tal Soker und Philipp Wegerer mit dem Regisseur Christian von Götz.
↗ Christian, du hast bisher zweimal am tfn gearbeitet, hast zweimal ziemlich extravagant inszeniert und damit zweimal einen großen Publikumserfolg gehabt. Ist das Freche heute der neue Pop?
Natürlich habe ich mich sehr über den Erfolg der beiden Produktionen gefreut. Mir ist es wichtig, zu wissen, für wen man Theater macht. Ich habe das Hildesheimer Publikum als sehr aufgeschlossen, modern und begeisterungsfähig erlebt. Deshalb war mir klar, dass ich mich in Hildesheim nicht verstellen muss. Ich will kritisches Musiktheater, witzig und fantasievoll.
↗ Und du willst Standing Ovations.
Genau. Ich will Standing Ovations. Das ist immer das Ziel. (Lacht)
↗ Was hat dich an die göttin der vernunft interessiert?
Johann Strauss hat mir immer viel bedeutet und seine Musik ist eben sensationell. Und eine fast nie gespielte Strauss-Operette »auszugraben« hat mich extrem gereizt.
↗ Thematisch ist dieses Stück ja auch sehr ungewöhnlich.
Ja, es ist letztlich die Geschichte einer emanzipierten und sehr geistreichen jungen Frau, die es schafft, sich in einer regressiven Männergesellschaft durchzusetzen. Und diese ziemlich heutig anmutende Story ist eingebettet in eine verrückte Militarismus-Parodie. Das Ganze ist ein sehr ungewöhnliches Sujet für Johann Strauss und überhaupt für die ganze Wiener Operette.
↗ Eigentlich spielt das Werk in der Zeit der Französischen Revolution.
Ja, während der Terrorherrschaft der Jakobiner. Es wurde ein »Fest der Vernunft« veranstaltet und als Höhepunkt des Festes wurde eine Frau als »Göttin der Vernunft« durch den Raum getragen. Ziemlich abwegig, wie ich finde.
↗ Wie bist du damit umgegangen?
Um die Handlung aus der schrecklichen Terrorzeit der Jakobiner herauszuholen und für uns neu lesbar und den Humor akzeptierbar zu machen, habe ich die Handlung in das Jahr 1870 verlegt, also an den Anfang des deutsch-französischen Krieges und das Ende der Regierungszeit des von Offenbach so oft karikierten Napoleon III.
↗ Und das geht handlungsmäßig auch erstaunlich gut auf.
Und schlägt einen schönen Bogen zu meiner ersten Hildesheimer Regie. wenn ich könig wär’ war ja auch in dieser Epoche verortet.
↗ Letzte Frage: Was liest du zur Vorbereitung der Inszenierung?
der zusammenbruch von Emile Zola, ein großartiger Roman über den Wahnsinn des deutschfranzösischen Krieges. Und genau richtig, um im historischen Wahnsinn die Lücken zu finden, durch die wir schlüpfen können, um Lachen im Saal zu erzeugen. Ein Lachen, das uns allen gern auch mal im Hals stecken bleiben darf, wie ich finde. Das alles gehört auch zum wilden, fröhlich-anarchischen und eben auch oft zeitkritischen Genre der Operette
Foto: Verena von Götz