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↗ Nach dem großen Erfolg der recht unbekannten Oper wenn ich könig wär’ kehrst Du jetzt für eine der bekanntesten Opern überhaupt nach Hildesheim zurück: die zauberflöte.
Ja, dieser Kontrast hat mich sehr gereizt: die zauberflöte ist das meistgespielte Stück des Repertoires, unter anderem, weil sie eine Familienoper ist. Viele Menschen, die nur selten in die Oper gehen, haben sie trotzdem und meist als Kind schon mal gesehen. Neulich war ich in Köln in einem Büdchen, um ein Kölsch zu kaufen, und fragte die Besitzerin: »Haben Sie schon mal von der zauberflöte gehört?«, und sie antwortete: »Jawoll! Isch hann di Sach opp’n Schirm. Hier, die Königin der Nacht kenn isch natürlisch!« Und ihr Mann krächzte aus dem Nebenraum die Koloratur der ersten Arie.

↗ (lacht) Sehr schön. Viele Regisseur_innen lieben Mozart. Woran liegt das?
Ich finde, was wir heute unter »Musiktheater« verstehen, beginnt mit Mozart: Das musikalische Theatralisieren von »echten« Menschen in »echten« Situationen, psychologisch klar gebaute Charaktere voller Sehnsüchte und großer, aber nachvollziehbarer Emotionen, die Konflikte bestehen oder daran scheitern – das alles fängt eigentlich erst mit Mozarts Opern an. Deshalb inszenieren wir Regisseur_innen Mozart so gern.

↗ Ist die zauberflöte da nicht ein wenig eine Ausnahme?
Ja, die zauberflöte und die Opernregie sind nicht immer Freunde. (lacht) Das hat auch mit der Bekanntheit und den damit verbundenen Erwartungen zu tun, aber vor allem damit, dass sich das Wertesystem vermeintlich innerhalb des Stücks, vom ersten zum zweiten Teil, »umdreht«: dass aus der erst als »gut« erlebten Königin der Nacht eine angeblich »böse« Figur wird und aus dem erst als »Tyrann« empfundenen Sarastro ein »weiser Herrscher«. Menschen, die das Eindeutige lieben, macht das schon mal Probleme. (lacht) Diese Brüche und Umkehrungen sind für mich doch das Interessante an menschlichen Geschichten.

↗ Inszenierst Du die zauberflöte nicht als Märchen?
Doch, natürlich. Aber Märchen sind dann toll, wenn sie uns auf der einen Seite mit dem buntfantastisch- lebendigen Unerwarteten verzaubern, auf der anderen Seite aber auch unsere Lebensrealität trennscharf spiegeln. Wir müssen uns in der zauberflöte wiederfinden, sonst bleibt es ein alter Schinken, der mit uns nichts zu tun hat.

↗ Mozart war ja Freimaurer. Immer wieder wird auf diesen Hintergrund der zauberflöte hingewiesen.
Der Freimaurer-Hintergrund der zauberflöte hat mich ehrlich gesagt nie besonders interessiert. Heteronormative Männerbünde habe ich immer eher als abstoßend empfunden. Ich kann mich erinnern, dass ich die originalen frauenfeindlichen Dialoge der Priester schon als Kind daneben fand. Die »lebendigen« Figuren Papagena/Papageno, die Jugendlichen Pamina/Tamino und ihre komplexen Abenteuer haben mich immer mehr interessiert. Ich habe eher einen fröhlich-feministischen Ansatz für das Stück. Meine 8-jährige Tochter sagte mir über die zauberflöte, sie findet »die Königin der Nacht toll, weil sie eine Mutter ist, die sich wehrt und nicht einfach akzeptiert, was die ganzen Männer mit ihr machen.« Ich gebe ihr da völlig recht. Ich finde die Frauenfiguren in der zauberflöte am spannendsten. Pamina ist für mich der Angelpunkt, um den sich alles dreht, der Schlüssel für ein heutiges, meinetwegen feministisches Verständnis des Werks.

↗ Und die doch sehr präsenten Priester, die offenbar eine misogyne Grundhaltung haben?
Mozart hat die Priestergesellschaft nicht wirklich ernst genommen, er hat sich über sie lustig gemacht. Das beste Beispiel dafür ist das ironische C-Dur, das er für das Priesterduett gewählt hat, das im Original eigentlich »Bewahret Euch vor Weibertücken« heißt. (Ein Wort, das so dämlich ist, dass es mein Computer gar nicht schreiben will.) 

↗ Die Zeile erklingt also in der Hildesheimer zauberflöte nicht?
Natürlich nicht. Ich finde es völlig abwegig, an manchen Stellen den Text nicht ändern zu wollen. Wir wollen keine historische Abhandlung, sondern Figuren, die für uns heute funktionieren. Ich habe es satt, patriarchalische Priester vorgeführt zu bekommen. Ich möchte auch sie irgendwie nachvollziehen können. Man muss sie von diesem unangenehm-pathetischen Ernst befreien und sie aus dieser schrecklichen heteronormativen, chauvinistischen Ecke herausholen. 

↗ Und Sarastro?
Sarastro finde ich tatsächlich die komplizierteste Figur. Ich musste als Schüler bei ihm immer an einen wichtigtuerischen (und darum unglaublich albernen) »Jugendherbergsvater« denken, den ich kannte. Schwierig, ihn als »gute Figur« ernst zu nehmen. Sarastro hat ein widersprüchliches Verhältnis zu Gesetz und Ordnung: Er gibt sich als gerechtes »Familienoberhaupt«, lässt aber auch foltern und entführen.

↗ Hast Du noch einen Appell an das Publikum?
Klar. die zauberflöte ist DIE »Oper für alle«. Ich bin überzeugt davon, dass die zauberflöte die Oper ist, die das Genre bis heute am Leben erhalten hat. Ohne sie wäre die Oper längst nur noch ein Gegenstand der Musikwissenschaft. Kommt alle und schaut, wie lebendig die Oper heute ist!